„Für mich gehört Spiritualität zum Menschsein dazu!“

26.08.24, 07:55
  • DARUM
Eva Rott
DARUM! Posting (1)

Julian Röttgen entschied sich gegen ein Leben als Priester, aber nicht gegen seinen Glauben

Mit 26 Jahren beendete Julian sein Theologiestudium in Bonn. Er lebte im heute geschlossenen Collegium Albertinum und war auf dem besten Weg katholischer Priester zu werden. Fünf Jahre später hat er eine Freundin, arbeitet bei der KJA Bonn und studiert nebenbei Chemie auf Lehramt. 

Erste Berührungspunkte mit der KJA Bonn ergaben sich in der Gemeinde im Bonner Stadtteil Poppelsdorf, wo Julian Kontakt zu einer ehrenamtlich Tätigen hatte. Sie gab ihm damals den Tipp, sich zu bewerben. Heute arbeitet er als Jugendreferent im Fachbereich Katechese und Spiritualität und hat eine Projektstelle in Euskirchen übernommen, wo er als Ansprechperson für die Kreisjugendseelsorge tätig ist. 

Schon beim Vorstellungsgespräch hatte Julian einen guten Eindruck und fühlte sich von Anfang an wohl. Dieses Gefühl ist geblieben. Seiner Meinung nach liegt das auch daran, dass er in seiner täglichen Arbeit das tun kann, was ihn schon im Theologiestudium begeisterte: Der Philosophie zugewandt, setzt sich Julian gerne auseinander und hinterfragt Dinge – fragt nach dem Warum. Beim Einführungskurs beispielsweise, den es bei der KJA Bonn für neue Mitarbeitende gibt, kann er mit seiner Herangehensweise auch Vorbehalte, die ihm begegnen, abbauen. Zum Beispiel die klassischen Vorurteile gegenüber der katholischen Kirche, die oft auf starre Gottesbilder zurückgreift. Hier sieht Julian die Chance in der persönlichen Begegnung mit den Menschen. Denn ganz schnell wird deutlich: Diese Vorurteile und verstaubten Bilder bedient er nicht. Vielmehr geht es darum, ins Gespräch und in den Austausch zu kommen, verschiedene Meinungen anzuhören und die Auffassung anderer zu akzeptieren. Bei den Kolleg*innen und auch bei jungen Menschen, die er in der Firmvorbereitung begleitet, kommt das gut an, weil Julian ihnen offen begegnet und sie ermutigt, mit sich selbst in den Austausch zu gehen, Perspektiven zu wechseln und eigene Ansichten zu hinterfragen.

Schon in seiner Jugend hat Julian sich engagiert – in der Kirche als Messdiener und in der Jugendarbeit als Gruppenleiter. Später übernahm er in seiner Ausbildung liturgische Dienste und seelsorgliche Arbeiten. An die Aufgabe, auf einer Bühne oder in der Kirche vor vielen Menschen zu stehen und zu sprechen, musste er sich erst ein wenig herantasten. Aber schnell bemerkte er, dass es ihm liegt, frei zu reden: „Ich habe nie Predigten mit ellenlangen Zetteln vorbereitet. Das fand ich stinklangweilig. Ich möchte etwas erzählen und bewegen, die Menschen mitnehmen. Die Themen, die ich bearbeite, die lebe ich auch.“ Das ist eine von Julians Stärken – Glaubwürdigkeit. Was er sagt, nimmt man ihm ab. Dabei strahlt Julian eine große Sicherheit aus, die er im Gespräch auf seinen Gegenüber übertragen kann. Bei seiner Tätigkeit bei der KJA kommt Julian diese Fähigkeit zugute, denn er ist intern wie extern gut vernetzt und hat mit vielen unterschiedlichen Menschen zu tun. So gibt es immer wieder Gelegenheiten, dass es zum Beispiel zu Kooperationen mit OGS-Standorten der KJA Bonn kommt. Mit Sandra Eich, pädagogische Leitung der Einrichtung in Euskirchen Kirchheim, arbeitet er regelmäßig zusammen. Im Mai organisierten sie gemeinsam einen Pilgertag zum Thema Menschenwürde. Es ist für Julian selbstverständlich, dass er für die Kinder einen Gottesdienst vorbereitet und durchführt, für eine Bastelaktion Schilde aus Holz sägt und beim Mittagessen am Grill steht und Burger grillt. Wenn ihn zwei Tage später ein Kind wiedererkennt und fragt, ob er nicht der Mann aus der Kirche sei, ist das ein besonderer Moment für ihn. Diese positiven Rückmeldungen bestärken ihn. So gewinnt der Jugendreferent das Vertrauen der Kinder, aber auch der Erwachsenen und wird häufig zum Gesprächspartner. 

Die Menschen, denen er begegnet, schätzen ihn. „Ich bin oft überrascht, wie offen mir Menschen gegenüber sind und dass sie mir viel erzählen. Ich höre zu, egal ob bei leichten oder schweren Themen oder Sinnfragen.“ Denn vor allem auf das Zuhören kommt es an und jede*r kann sich sicher sein, dass das Besprochene bei Julian bleibt. Es ist Julians offene und aufrichtige Art, die Sicherheit und Ruhe vermittelt und schnell Vertrauen schafft. Dass er kein Therapeut ist, ist dabei allen Seiten klar und vielleicht sogar ein wichtiger Aspekt.: „Ich kann keine Antworten geben. Ich kann nur zuhören und ermutigen auszuprobieren.“ In diesen Situationen ist seine Expertise gefragt und dabei stellt er fest, dass Religion oder Spiritualität für viele Menschen eine wichtige Rolle spielt. Dabei kann sich Spiritualität für den Jugendreferenten in vielen Lebensbereichen ausdrücken, er denkt nicht in vorgefertigten Rastern. Für ihn gehört Spiritualität zum Menschsein dazu und dabei ist es völlig egal, wo Menschen diese finden: Auch eine enge Naturverbundenheit, aus der man Kraft zieht oder die Liebe zu Musik sind für ihn eine spirituelle Haltungen. Musik spielt für den 31jähringen selbst eine wichtige Rolle, weil er hier die Ruhe findet, die er nach außen ausstrahlt. Dabei entdeckt er immer wieder neue Dinge und empfindet Musik als unendlichen Lernraum, der so komplex wie das Leben ist.  

darum-julian-roettgen

Auf die Frage, was die Highlights in seinem Job sind, fällt es Julian schwer, direkt zu antworten. „Ich kann das gar nicht an ein oder zwei Dingen festmachen, sondern es sind die vielen Momente, die meist im Kleinen in meiner alltäglichen Arbeit passieren. Das können schöne Begegnungen sein.“ Dafür braucht Julian nicht die große Bühne, sondern vielmehr die Empathie, mit der er es schafft, Menschen für sich zu gewinnen. Auch Sprache kann für diese Erlebnisse der Schüssel sein. Julian ist sprachinteressiert und lernt unter anderem Türkisch. So kann er viel einfacher auf türkischsprechende Menschen, die er beispielsweise beim Jugendmigrationsdienst kennenlernt, zugehen und mit ihnen ins Gespräch kommen. „Ich lerne von ihnen nicht nur die Wörter, sondern das Lebensgefühl und die Kultur, welche mit ihrer Sprache und den Begriffen verbunden sind. Das finde ich total spannend und bereichernd. Ich bin sehr dankbar, dass ich bei der KJA Bonn die Freiheit habe, allen Menschen offen begegnen und ihnen zeigen zu können, dass ich ein ehrliches Interesse an ihrer Geschichte habe. In einem Job bei einer Versicherung würde ich solche Begegnungen sicher nicht erleben.“

Bei all diesen Erzählungen fragt man sich, wie es zusammenpasst, dass Julian seit dem Wintersemester 2022 nebenbei Chemie auf Lehramt studiert. Für Julian ist es nur die logische Konsequenz seiner Interessen: „In der Geisteswissenschaft wird versucht, vielfältige Themen durch Nachdenken verstehen zu lernen. Hier liegt der Fokus mehr auf Sprache und Begrifflichkeiten. Auch die Chemie möchte Zusammenhänge verstehen, wie die Welt funktioniert, welche Mechanismen unserer Leben ermöglichen, und eröffnet mir durch Experimentieren eine andere, sehr praktische Perspektive. Das, was ich verstehen lerne über diese Welt, kann ich im Reagenzglas direkt beobachten.“ Wenn Julian dies so erklärt, scheint es plausibel, weil es sehr gut beschreibt, wie er tickt. Er braucht das Nachdenken und Nachfragen auf der einen Seite und das Aktivsein und Ausprobieren auf der anderen Seite. 

Für seine berufliche Zukunft wünscht er sich, als Lehrer für Chemie und Religion einen Unterricht zu gestalten, der für Kinder einen Bezug zum Leben bietet und dass Schule sich nicht nur als Informationsquelle wahrnimmt, sondern ganzheitlich auf ihren Bildungsauftrag schaut. „Ich möchte auch in meiner Rolle als Lehrer Kinder ermutigen, nachzufragen und neugierig zu bleiben.“